Vortrag über den Kanal Eschachweiher – Stadt Kempten

Dieser Vortrag wurde von Bürgermeister Adolf Horchler gehalten und ist wohl die ausführlichste Beschreibung des Verlaufs und der Geschichte des Schlangenbachs. Adolf Horchler wurde am 8. Januar 1849 in Regensburg geboren und starb am 12. Januar 1929 in Straubing. Von 1881 bis 1919 war er Bürgermeister von Kempten. Für sein Wirken in diesem Amt wurde ihm die Ehrenbürgerschaft (27. Januar 1919) verliehen.

Zweifel haben alle Anwesenden schon oft die bekanntesten Ausflüge in die westliche Umgebung der Stadt gemacht. Über Eggen auf den Mariaberg, über Ermengerst auf den Blender, über Aheggmühle und Wegscheidel in die Kürnach, über Eschach auf den hohen Kapf oder den Schwarzen Grat usw. Da sind Ihnen überall Bestandteile einer Wasserkanalanlage begegnet, denen Sie sofort angesehen haben, dass sie eine künstliche Wasserführungsanlage darstellen. Vielleicht haben Sie sich bemüht, Ursprung und Zusammenhang, Lauf und Zweck dieser in die Augen fallenden und nicht zu übersehenden Wasserläufe zu suchen und zu finden – vielleicht haben Sie dies auch nicht getan und ich möchte dies gar nicht einmal tadeln, denn die Gegend, welche dabei durchwandert wird, bietet in stetem Wechsel so viel der reizendsten Landschaftsbilder, dass man der Scholle, die unser Fuß selbst gerade betritt, geringere Beachtung schenkt. Wir freuen uns nicht bloß der erquickenden Eindrücke, welche die schöne Natur in uns hervorruft – wir freuen uns auch des üppigen Prangens und des reichen Wachstums, das Fluren und Felder, Wiesen und Wälder aufweisen. Wir verschließen uns nicht der Wahrnehmung und Anerkennung des Fleißes und der Mühe, ohne welche solches Gedeihen der Früchte des Bodens nicht denkbar wäre. Wir freuen uns des Wohlstandes, dessen Gepräge die großen, schönen und wohl gepflegten bäuerlichen Anwesen tragen, die in Folge des in unserem Landstriche durchgeführten Systems der Vereinödung so schön über Berg und Tal verteilt sind. Recht unmittelbar werden so unsere Gedanken von selbst auf die Umstände gelenkt, welche solches Gedeihen bringen und fördern. Deren sind es selbst verständlich mehrere.

Ich erwähne indes nur die meinem Vortragsthema nahe liegenden Wasserverhältnisse. Unsere Gegend ist durchaus nicht wasserarm. Eine reichhaltige Zahl von Quellen, Bächen und Bächlein finden wir allenthalben, die unsere Wiesen und Matten befruchten. Ihr Wasser wird größtenteils von dem Boden aufgenommen, den sie durchfließen und zur Bildung größerer Bäche mit ausgiebigem und kräftigem Wasserbestande kommt es verhältnismäßig selten. Aber dieser Freude für den Landwirt steht die Tatsache gegenüber, dass diese Verhältnisse die Trinkwasserversorgung für größere Orte erschweren; statt einer einzigen, viel Wasser spendenden, großen Anlage müssen mehrere kleinere an verschiedenen, räumlich von einander entfernten Orten errichtet werden, was die Betriebsschwierigkeiten, insbesondere aber auch die Anlage- und die Betriebskosten gewaltig erhöht. Das gilt auch für Kempten, welches auch jetzt noch der Hauptsache nach die schon zu Fürstabts- und zu Reichsstadtszeiten hereingeleiteten Quellen benützt und nur die bauliche Beschaffenheit der Anlagen völlig umgestaltet hat.

Auch die Anlage von Werken, die mit Wasserkraft betrieben werden sollen, ist nur in beschränkter Weise möglich und dieser Umstand war es, der die Entstehung des großen Wasserkanales hervorrief, welcher am Eschacherweiher seinen Anfang nimmt, die Bezirke von drei Landgemeinden durchzieht und nach einem Laufe von ca. 14 ½ Kilometer bei Eggen in den Stadtbezirk Kempten eintritt. Über diesen Kanal möchte ich heute vor Ihnen sprechen und es würde mir zu besonderer Freude gereichen, wenn ich ihr Interesse für diese auf alle Fälle interessante Anlage erringen könnte. Ein Gesamtbild über das Ganze würden Sie für sich selbst allein nicht so leicht gewinnen können. Die Entstehung der bezeichneten Anlage reicht zwar in ferne Zeiten zurück, sie ist aber auch jetzt ihrer Bedeutung nicht entkleidet und in für die Zeit ihres Entwurfes und Baues ohne Zweifel ein großzügiges Werk, wert, sich näher damit zu befassen.

Ich will Ihnen zunächst an der Hand eines großen Planes vorführen, wie die Anlage gegenwärtig gestaltet ist und aus welchen Teilen sie besteht. Alsdann würde ich eine kurze Geschichte ihres Entstehens geben und mich dann noch über Zweck und Bedeutung, sowie einiges andere, was einschlägig ist, verbreiten. Die Anlage besteht teils aus künstlich angelegten Kanalstrecken, teils sind natürliche Bachstrecken in dieselbe einbezogen. Die künstlichen Strecken bilden ein Drittel der Kanallänge; schon dieses Verhältnis gibt dem ganzen die Signatur und lässt sofort erkennen, in welch weitgehender Weise der Kanal in das Netz der natürlichen Wasserläufe eingreifen muss. Die Kanalanlage hat drei große Weiher, die als Wasserreservoire dienen und mit allen nötigen Anlagen (Dämme, Fallenstöcke, Grundablass, Überaich, Rechen etc.) versehen sind. Für drei Wasserwerke bestehen noch besondere Stauweiher.

Der Kanal nimmt seinen Ursprung am Eschacherweiher, der südlich und westlich von bewaldeten Hügeln umgeben und in einer Höhenlage von 1.000 Meter in idyllischer Ruhe und Einsamkeit gelegen ist. Der Weiher wird von Quellen gespeist, die auf seinem Grunde entspringen; oberirdische Zuflüsse sind in gewöhnlichen Zeiten nicht vorhanden. Unmittelbar vom Damme weg übersetzt der Weiherabfluss den Steckenriedertobel, in welchem ohne das künstliche Gerinne das Wasser in das Tal bei Wengen in die Argen abfließen würde, also in den Bodensee käme. Es kommt dann über die Hochfläche von Hahnenmoos weg ein unterirdischer, 775 Meter langer Kanal, dann eine oberirdische 125 Meter lange künstliche Strecke. Dann mündet das Wasser in ein natürliches Bächlein, das sich in der Terrainmulde bildet, die sehr feucht ist und als Mittelpunkt die Brutscherischen Quellen hat. Nun natürlicher Bach bis zur Pflumermühle, 1.800 Meter lang. Die Pflumermühle bestand vor Herstellung der jetzigen Kanalanlage schon. Von der Mühle weg wurde der natürliche Bach ganz und gar in einen künstlichen verwandelt, der über der Talsohle auf halber Höhe des Hanges nach Wegscheidel führt (975 Meter Länge). Der alte Lauf des natürlichen Baches von der Pflumermühle weg ist ganz beseitigt; der Bach kann auf verschiedenen Punkten geflossen sein. Erst etwas unterhalb der Mühle bildet sich wieder ein neuer natürlicher Bach, der ins Kürnachtal läuft und durchs Württembergische ebenfalls in den Bodensee gelangt. Dorthin würde auch das Wasser des künstlichen Kanals fließen, wenn es nicht zwangsweise in ein fremdes Einzugsgebiet geleitet würde. Also der zweite Fall der Ableitung fremden Wassers nach Kempten. In Wegscheidel ist überhaupt eine allgemeine Wasserscheide. Der künstliche Kanal geht in beträchtlicher Höhe über der Talsohle am Hang um den Fuß des Blenders fort bis zur Masersmühle (1.175 Meter); oberhalb derselben ist ein Gefällsbruch und entsteht eine beträchtliche Höhe des Wassergefälles. An der Ostfront der Masersmühle, die um 1730 entstanden sein dürfte, mündet der künstliche Kanal wieder in einen natürlichen Bach (den Kollerbach), der in den wasserhaltigen Niederungen zu beiden Seiten der Straße zwischen der Bahnstation Kürnach und der Wasserscheide in Wegscheidel entsteht. 725 Meter unterhalb der Masersmühle verlässt der Kanal den Gemeindebezirk Buchenberg und tritt in den Gemeindebezirk Wiggensbach ein. Nach weiteren 900 Meter wird der ganze Kollerbach in künstlichem Gerinne abgeleitet nach Osten. Das alte Gerinne des Kollerbachs besteht noch, ist aber ohne Wasser. Es ist an der Stelle der Ableitung ein seitliches Überfallwehr angelegt, über das Wasser in das alte Bett abfließen kann, wenn die Wassermenge im künstlichen Kanal nicht mehr Platz hat (Kiesansammlungen). Der Kollerbach bildet sich eine Strecke unterhalb dann neu; er führt sein Wasser bei Hirschdorf in die Iller und dorthin würde auch das im künstlichen Kanal abgeleitete Wasser fließen. Hier dritter Fall der Wasserableitung nach Kempten.

Die letzt erwähnte künstliche Kanalstrecke hat nur 400 Meter Länge. Dann mündet sie in den von Süden kommenden Ermengersterbach, der in einem Lauf von 1.250 Meter durch den westlichen Teil der Ortschaft Ermengerst zur Ermengerstermühle (ebenfalls um 1730 entstanden) verläuft und kurz vor Mündung in den Herrenwieserweiher den Gemeindebezirk Wiggensbach verlässt. Der Wasserlauf tritt dann auf 1.100 Meter Länge in den Bezirk St. Lorenz, durchfließt den Herrenwieserweiher und mündet kurz nach Verlassen desselben in die kleine Rottach; kurz darauf wird der Gemeindebezirk St. Lorenz wieder verlassen und der Bezirk Buchenberg betreten. Auch das Wasser des Ermengersterbaches würde seinem natürlichen Laufe gemäß nicht nach Kempten gelangen; also der vierte Fall einer Ableitung.

Das im Kanal von Eschacher- bis zum Herrenwieserweiher gesammelte Wasser gelangt mit der kleinen Rottach in die große Rottach, welche nächst der Ziegelei Johannisried den Gemeindebezirk Buchenberg verlässt und in den Bezirk St. Lorenz übertritt. Die Rottach bildet auf 3.425 Meter Länge einen Teil der großen einheitlichen Wasserlinie, bis ihr sämtliches Wasser unterhalb der Pulverfabrik durch das Helenwehr zur Stadt abgeleitet wird. Von da ab führt die Rottach nur überschüssiges Wasser und Wasser kleinerer Bächlein, das von den Hängen des Mariabergs unterhalb des Helenwehrs in die Rottach gelangt. Die Rottach mündet im Norden des Stadtbezirkes in die Iller. Ohne künstliche Anlage würde ihr Wasser nicht durch die Stadt fließen – also fünfte Wasserableitung.

Unterhalb des Helenwehres finden wir zunächst eine künstliche, 750 Meter lange Kanalstrecke, wovon 450 Meter unterirdisch. Alsdann wird der Göhlenbach erreicht, der aus der Gegend von Wirlings kommt, den Stadtweiher durchfließt und dann die Richtung nach Eggen einschlägt. Der Wasserkanal benützt auf 375 Meter Länge nun den natürlichen Göhlenbach bis zu dem Wehr westlich von Eggen. Dort trennt sie eine weitere künstliche Kanalstrecke vom Göhlenbach, der nur mehr überschüssiges Wasser fortführt und später in die Rottach mündet. Das Wasser des Göhlenbaches wird genötigt, durch den Hügel von Eggen in die Stadt zu laufen – also sechste Wasserableitung. Diese letzte Kanalstrecke bis zur Stadtgrenze an der Fabrik Wankmiller ist noch 550 Meter lang (davon 300 Meter unterirdisch).

Nach dem Gesagten wird niemand bezweifeln können, dass es sich hier um ein wohldurchdachtes, tief einschneidendes Unternehmen handelt, das nicht in seine einzelnen Teile zerlegt und in jedem Teile anders behandelt werden kann. Alle die einzelnen Abschnitte des Werks fügen sich eng ineinander; herausreißen eines Teiles würde das Ganze zerstören.

Von Interesse ist die Aufzählung der Triebwerke am Kanal. Es sind dies:

Wenn wir nun den Landbezirk verlassen und zu den Verhältnissen der Stadt übergehen, so sei in Kürze folgendes konstatiert.

Von dem Eintritt in den Stadtbezirk an bleibt vorerst alles im Kanal fließende Wasser vereinigt und zwar bis hin zu dem Anwesen des Gerbermeisters Herburger, Gl. Das Wasser fließt in künstlich angelegten Gerinne, wie überhaupt alle die später noch erwähnten Kanalstrecken innerhalb des Stadtgebietes keine natürlichen Wassergerinne darstellen. Die Strecke Wankmiller – Herburger und der neustädtische Kanalarm besitzen nur auf kurze Länge eine Eindeckung, sind vielmehr zum größten Teil offen; die übrigen Strecken sind mit Ausnahme ganz kurzer, weniger Teile überdeckt. An der Strecke Wankmiller – Herburger liegen fast alle in der Stadt vorhandenen Betriebe, welche die Wasserkraft unseres Mühlkanals benützen. Es können folgende Werke angeführt werden.

Für diese Strecke kommt auch in Betracht ein Zusammenhang mit den bestehenden Trinkwasserleitungen. Über diese gibt uns Aufschluss ein Plan von 1712, der sich im Besitze des Straßen- und Flussbauamtes Kempten befindet. Für die Feilberger Quellenleitung existiert noch ein besonderer Plan von 1714 im Kreisarchiv, der alle Details der ganzen Anlage in genauester Weise enthält und hergestellt wurde anlässlich eines Streites zwischen der Abtei und der Reichsstadt Kempten über die Ableitung von Bachwasser und Teilung der Trinkwasserleitung, welche beide Parteien je zur Hälfte gehörte. Der Mühlkanal hatte nicht den Zweck, Trinkwasser zu liefern und abzugeben, aber die Trinkwasserversorgung sowohl der Reichsstadt als der Stiftsstadt war derart ungenügend, dass Bachwasser zur Verstärkung verwendet wurde. Sowohl die Feilberger- als auch die Wirlingerleitung besaßen die nötigen Einrichtungen, um Bachwasser einzuleiten und es auch noch an andere Wasserleitungen abzugeben. Dieser Zustand hat sich übrigens noch bis in die neueste Zeit erhalten; erst vor ca. 40 Jahren wurde er radikal beseitigt. Die Feilberger-Quellleitung befand sich auf denselben Grundstücken, wie heutzutage noch (Calgéer-Anlagen). Die städtische Feilberger-Bachleitung ist vollständig von ihr getrennt und bei der Trinkwasserversorgung ausgeschaltet. Die fürstäbtliche Bachleitung ging um 1825 ein. Ausgeschaltet wurde auch die Hofgarten- und Bräuhausleitung, die ihr Wasser ebenfalls aus dem Feilberger Mühlbach entnimmt. Diese beiden Leitungen sind erst in neuester Zeit vereinigt; früher waren sie getrennt. Die Hofgartenleitung zweigte 1712 an derselben Stelle wie heute noch, aber ohne einen besonderen Einlaufkasten, unmittelbar unter der oberen Hofmühle vom Kanal ab und versorgte zunächst das Stiftsbräuhaus. Die Bräuhausleitung, welche damals noch nicht ins Stiftbräuhaus ging, sondern fürstäbtliche Ökonomiegebäude, Stallungen usw. im heutigen Entenmoos versorgte, zweigte unterhalb der Bachteilung bei Gerber Herburger vom Mühlkanal ab. Die Bräuhausleitung nahm ihr Wasser sohin dem reichsstädtischen Bacharme; das ließ sich die Reichsstadt auf die Dauer nicht gefallen und die Abzweigung der Bräuhausleitung wurde später an dieselbe Stelle verlegt, an der die Hofgartenleitung abging. Die fürstäbtliche Brauerei erfuhr verschiedene Änderungen. Das erste um 1669 erbaute Bräuhaus stand am Ostende des heutigen Bezirkskommandos. Geraume Zeit später, aber vor 1694 wurde ein größeres Brauhaus errichtet, das heute die Hausnummer J19 führt. Das neue Brauhaus F1 entstand erst nach 1737. Diese Änderungen waren ohne Zweifel auch von Einfluss auf die Wasserleitungen. Das Brauhaus wurde 1812 an die Kurfürstin Leopoldine verkauft und gehörte zuletzt der Aktienbrauerei, jetzt mit dem Allgäuer Brauhaus vereinigt. Der eben erwähnte Wasserstreit wurde durch Vergleich vom 1. August 1717 und 8. Dezember 1719 erledigt. Das Stift sollte sein Wasser vom mittleren Brunnenhaus erhalten und sollte das Wasser von einer Teilsäule zur stiftischen Eichel nächst der Schumühle geführt werden.

Auf die sehr komplizierten hiesigen Wasserleitungsverhältnisse kann im übrigen heute nicht näher eingegangen werden. Ich kehre wieder zum Mühlbach zurück.

Beim Anwesen des Gerbermeisters Herburger teilt sich der Kanal in zwei Wasserläufe, die kurzweg als neustädtisch und als altstädtisch bezeichnet werden.

Der neustädtische Bacharm (5/9 des Wassers) geht gegen Norden zur Brachsäge, wendet sich dort nach Osten, verläuft an der Südseite des Distriktspitales zum früheren Eislaufplatz und in verschiedenen Krümmungen (daher die Benennung „Schlangenbach“) zur Rottachmündung und in die Iller. Auch für diese Strecke sind Triebwerke zu erwähnen.

Der altstädtische Bacharm läuft von G1 in östlicher Richtung unter der Salzstraße durch, über den Hildegard- und Residenzplatz, dann durch die ganze Gerberstraße direkt in die Iller. An diesem Bacharm gab es nur einige Werke. Zunächst benützten die Hofapotheke, H10, und die Druckerei, H16, den Stadtbach lange Jahre hindurch zu gewerblichen Zwecken, was schon seit längerer Zeit aufgehört hat. Alsdann ist zu erwähnen die Kotzenmühle, vor 1566 schon entstanden, Privatbetrieb, Schneidesäge und Malzmühle, heute O6 und O7, dem Schneidermeister Biechteler gehörig. In der letzten Zeit wurde dort eine Fleischhackerei betrieben, was meines Wissens jetzt aufgehört hat. Außerdem kommt noch in Betracht ein Gewürzstampf, im 17. Jahrhundert entstanden, später eine Strickerei im jetzigen Haus F63 des Schneiders Mayr, Ecke der Heinrichs- und Gerberstraße. Seit Dezenien hat dieser Wasserbetrieb aufgehört.

Vom altstädtischen Bacharm gehen noch zwei kleinere Seitenbäche ab. Der erste geht ab vom erwähnten Haus O6, läuft unter dem Schlachthaus durch, dann in den ehemaligen Stadtgraben (Pfeilergraben) zur Iller nächst der ehemaligen Zündholzfabrik. Die zweite Abzweigung durch die Brandstatt, die Bachgasse und die ganze Burgstraße zur Illerstraße und unweit vom elektrischen Werk ebenfalls in die Iller. Triebwerke an diese beiden Seitenbächen waren nie errichtet.

Zu erwähnen ist noch die so genannte Wiedervergeltungsdohle, die aus dem neustädtischen Bacharm soviel Wasser in den städtischen Bach zurückführt, als aus dem altstädtischen Bach vom Residenzplatz weg in die Residenz geführt wird. Die Kanäle im Gebiet der Residenz hatten den Zweck, Fäkalien und Abwässer fortzubefördern; sie bestehen noch, wenn auch die Abort-, Wasserleitungs- und Entwässerungsverhältnisse der Residenz in den letzten Dezenien gänzlich umgestaltet wurden. Diese Kanäle münden in den Bräuhausbach, der nördlich vom kleinen Exerzierplatz am neuen Eislaufplatz vorüber in die Iller geht und ziemlich gleichzeitig mit dem ältesten Stiftsbrauhaus 1657 ausgeführt wurde.

Über die Geschichte des Kanals lässt sich folgendes berichten, wobei sofort bemerkt sein möge, dass viel archivarisches Material noch nicht durchforscht ist.

Aus der Gegend von Wirlings und Abris floss von jeher ein natürlicher Bach in der Richtung nach Eggen. Damit vereinigt sich später ein Bächlein, das von Bucharts und Steufzgen herkommt. Der Hauptbach hieß früher Geyrenbach, heutzutage Göhlenbach. Sein natürlicher Lauf führt ihn nicht nach Kempten. In alter Zeit schon hat die Reichsstadt diesen Bach abgefangen und ihn durch den Hügel von Eggen in einen unterirdischen Kanal zum Feilberg und durch die Stadt in die Iller geführt. Zu welcher Zeit dies geschah, wissen wir nicht. Man darf aber annehmen, dass es längere Zeit vor der Herstellung des Stadtweihers geschah, etwa im 14 Jahrhundert, zu einer Zeit, zu welcher Kempten schon Reichsstadt und schon ziemlich unabhängig von der Abtei war. Bald nach 1360 bekam die Stadt einen Bürgermeister, der an Stelle des stiftischen Ammans 1363 den Vorsitz im Rate erhielt. 1378 wurde die Zunftverfassung eingeführt und der Einfluss des Fürstabtes auf die Besetzung des Rates mehr eingeschränkt. 1525 fielen die letzten Fesseln der Stadt gegenüber dem Stift. Gleichzeitig mit der Durchstechung des Hügels ist ohne Zweifel der Hauptarm des reichsstädtischen Stadtbaches und dessen Abzweigung von der Brandstatt durch die Burgstraße entstanden. Spätestens mit Anlage des Stadtweihers müsste der Bach zur Stadt geführt worden sein, weil sonst der Weiher weder Sinn noch Zweck gehabt hätte; dann wäre aber bei den Nachrichten über den Weiher die Bachbeiführung wohl nicht unerwähnt geblieben. Die erste Kunde über den Stadtweiher gibt uns eine Urkunde von 1456, worin ein Konrad Bruchlin der Stadt das Vorrecht auf den Kauf seiner Rossweide in Allmay zusichert und der Stadt erlaubt, auf dem Felde „zum Hacker“ einen Weiher zu bauen. Damals war also der Weiher bereits geplant, ausgeführt wurde er erst kurz vor 1494. In einer Urkunde von 1484 erteilt Kaiser Friedrich III der Stadt die Bewilligung, auf dem Allmaygut etliche Weiher anzulegen unter der Bedingung, dass den armen Leuten, die dort bisher ihre Weide hatten, eine andere angewiesen werde. Im Juni 1494 stellt dann die Stadt einen Revers darüber aus, dass den armen Leuten des Stifts, die bisher auf dem Felde ihre Weide hatten, woselbst nun die Stadt ihren Weiher in Allmay gemacht habe, ein anderes Feld von ihrem Stadtgut, genannt „der Hacker“ eingeräumt wurde. Schon in einer anderen Urkunde vom Februar 1494 wird übrigens der Stadtweiher benannt. Erwähnt sei auch eine Urkunde von 1506, worin sich ein Paul Meier, Bürger zu Kempten, zum Unterhalt der Stadtmauer am Bach, der unter der Burg an seinem Hof vorübergeht, verpflichtet.

Das Wasser, welches der Stadtbach in die Stadt beförderte, war nicht übermäßig viel. Gleichwohl wurde dasselbe schon frühzeitig Gegenstand der Begehrlichkeit des Stifts, weil dasselbe oben in der Stiftsstadt gar kein fließendes Wasser besaß, weil man das Bedürfnis hatte, fließendes Wasser nicht bloß für Hebung und Schaffung gewerblicher Betriebe, sondern auch für andere Zwecke zu bekommen und weil man die Möglichkeit der Benützung fließenden Wassers eine wesentliche Voraussetzung der Hebung der Stiftsstadt erblickte. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurde das Kloster aus der eigentlichen Stadt verlegt und der Grund für die spätere Stiftsstadt gelegt, die im 16. Jahrhundert heranwuchs und nach Bedeutung strebte, dabei stets in Streitigkeiten mit der alten Stadt geriet. Es gab stets Differenzen über Zölle und Märkte, über Brücken und Straßen, über gewerbliche Verhältnisse. Insbesondere veranlasste viel Streit das Privilegium der Reichsstadt, dass innerhalb einer Wegmeile um die Stadt keine neuen Märkte aufgerichtet und kein Handel mit Getreide u.a. stattfinden solle. Etwa von 1670 an verfolgte das Stift planmäßig die Schaffung einer stiftischen Stadt. Besonders der Abt Rupert von Bodman (1678 – 1728) baute viel gewerbliche Anlagen und suchte Gewerbe und Handel zu heben. 1712 anerkannte Kaiser Karl VI das Stadtrecht der Neustadt, die aber allerdings niemals eine selbständige Gemeinde wurde, sondern immer der Verwaltung der fürstäbtlichen Regierung unterstellt blieb.

Zu den Streitigkeiten zwischen Stift und Stadt, die nie aufhörten, gehörte nun seit dem 16. Jahrhundert auch die Benützung des Stadtbaches. Das Stift erlaubte sich nicht selten Gewaltakte. Andererseits versuchte das Stift durch Anregung von Verbesserungen der bestehenden Anlage für sich Vorteile zu erringen und Konzessionen vom Rate der Stadt zu erlangen, deren Umfang dann eigenmächtig ausgedehnt wurde. Für die Reichsstadt misslich war dabei der Umstand, dass ihre Kanalanlage bis hin zum Klostertor in stiftischem Gebiet lag; wenn auch die vom Stadtbach durchflossenen Grundstücke zumeist der Stadt oder städtischen Bürgern gehörten, so war doch dem Stifte auf diese Weise jeder gewaltsame Zugriff erleichtert. Auch war das Stift der mächtigere Teil.

Im einzelnen sind folgende Vorkommnisse zu berichten.

Vor 1566 suchte der Fürstabt um Genehmigung der Stadt nach für die Errichtung der oberen Hofmühle am Stadtbach. Auch eine Säge kam dabei in Frage. Diese Genehmigung wurde erteilt mit der Beschränkung, dass dort nur das zur fürstlichen Hofhaltung Nötige gemahlen werden dürfe. Daran hielt sich der Abt nicht.

1566 fand er erste und 1571 der zweite Versuch statt, den Stadtrat dafür zu gewinnen, dass die Rottach durch das Allmay in den Geyrenbach geführt werde. Die Stadt stellte sich aber auf den Standpunkt, dass die städtischen Mühlen und Werke auch vom Stift benützt werden sollen und machte gegenüber einem späteren Versuch 1623 das Anerbieten, dass man beim Mahlen auf den Stadtmühlen das Stift behandeln wolle, wie die Einheimischen.

In unbekannter Zeit legte das Stift auf dem Feilberg in Nähe der Brunnhäuschen einen Stadtweiher an, dessen Vergrößerung die Stadt 1626 ablehnte. Der Weiher selbst wurde nicht beanstandet, scheint also mit Genehmigung des Rates hergestellt worden zu sein.

Ebenfalls in unbekannter Zeit, aber ziemlich früh führte das Stift eigenmächtig den neustädtischen Bacharm aus, der beim Herburger`schen Anwesen abzweigt. Vielleicht geschah dies 1657.

Wiederholt – 1601, 1652, 1675 - wurde der ganze Stadtbach der Stadt durch Absperren eine zeitlang entzogen. Der stärkste Eingriff in die städtischen Rechte geschah während des Baues der fürstäbtlichen Residenz. Der Bach wurde ganz demoliert, seine Wände herausgerissen; das Wasser wurde abgeleitet oder es floss auf die dem Feilberg benachbarten Wiesen und lief in dort befindlichen Gräben ab. Die Beschwerden und Verhandlungen dauerten fünf Jahre. Der Fürstabt stellte sich auf den Standpunkt, dass er der Stadt den Stadtbach erst dann wieder geben könne, wenn sein Bau fertig sei. Man brauchte Wasser zum Bau, für die neu anzulegenden Gärten, für Spülung der Aborte usw. Der Abt nahm sogar bezüglich des Stadtbaches das Alleineigentum in Anspruch, da der Bach auf stiftischem Grund laufe. Er stellte auch die Sache so hin, als sei die Durchquerung des Hügels von Eggen durch den Abt Eucharius von Wolfurt (1616 – 1631) erfolgt, der so für mehr Wasser gesorgt habe, als der Stadtbach jemals hatte. Die Reichsstadt wies das zurück. Unter Abt Eucharius sei nur von der Stadt der eingefallene unterirdische Kanal erneuert worden. Jedenfalls wurde 1657 auch der besondere Seitenkanal für die Residenz ausgeführt und nördlich derselben die Fortsetzung zur Iller gebaut.

Das Stift wollte auch den Stadtweiher ganz erwerben, was 1609, 1623, 1671, 1674, 1675, vom Rate abgelehnt wurde.

Auch einen neuen Weiher in Allmay wollte das Stift anlegen, worauf der Rat 1608, 1623, 1773 ebenfalls nicht einging.

Die Bedürfnisse der Residenz, welche – wie ausdrücklich hervorgehoben wird, unter Wassermangel litt, waren Anlass zu weiteren Anregungen im Jahr 1671. Zunächst wurde in einer Konferenz zwischen Stift und Stadt ein Vorschlag besprochen, den von Albris kommenden Bach noch weitere Wässerlein zuzuführen und ihn oberhalb des Stadtweihers zu teilen, den stiftischen Bacharm aber südlich der Lindauerstraße und nicht über Eggen zu dem Weiherlein auf dem Feilberg zu führen. Die Stadt lehnte indes ab. Es sollte beim alten bleiben, insbesondere auch bezüglich des Unterhaltes dieses Baches, der nach alten Herkommen zu je ¼ oblag dem Stift, der Stadt, dem Schaumüller auf dem Schleyen, dem Kotzenmüller. Dagegen wurde wieder zurückgegriffen auf das Projekt der Beiführung der Rottach. Das Stift begann auch ohne Weiters damit, die nötigen Grabungen auf städtischem Boden in Allmay in Angriff zu nehmen, was sich aber die Stadt nicht gefallen ließ. Das Stift ließ die Angelegenheit aber nicht ruhen, sondern griff sie schon 1674 wieder auf. Im Jahr 1676 wurden die Verhandlungen aussichtsreicher. Die Stadt hatte ein dem Abte lehenbares Gut in Lenzfried an die Nonnen in Lenzfried als freieigen verkauft, was der Zustimmung der Lehensherren bedurfte. Die Stadt war in großer Geldnot, veranlasst durch die Winterquartiere der kaiserlichen Truppen 1674 – 1677 in den Kriegen mit Frankreich. Der Verkauf musste alsbald verzogen werden. Diese Notlage der Stadt nützte das Stift aus, indem der lehensherrliche Konsens von der Bedingung abhängig gemacht wurde, dass die Stadt die Hereinführung der Rottach zulasse. Es geht das mit aller Deutlichkeit aus dem Berichte des Hofrates an den Fürstabt Berhard Gustav von Baden vom 9. März 1677 hervor. Man einigte sich über folgenden Bedingungen, die in dem fürstäbtlichen Rever vom 12. März 1677 enthalten sind. Das Gut in Lenzfried wird den Schwestern in Lenzfried frei und eigen überlassen und dafür ein Gut auf der Bleichen dem Lehensverband unterstellt. Der Rat gestattet, dass das Wasser aus der Rottach oberhalb der Brücke unter des Georg Helen Gut gefangen und dann durch die Kempter Viehwald im Allmay in den Geyrenbach geführt werde. Der Abt verspricht, das Wasser nur für die Schau- und Sägemühle zu künftigen vollkommeren Nutzen der fürstlichen Hofhaltung zu gebrauchen, aber zu keinen anderen Werk oder Mühlen. Die Hälfte des alten und des neuen Wassers soll der Stadt zugehen. Über die Abteilung oberhalb der Mühlbaindt, dann über die Stellfallen erfolgt Regelung, ebenso über das in die Residenz abzuleitende Wasser und die Wiedervergeltungsdohle, sowie einiges andere. Alsbald wurde nun das Helenwehr gebaut und das Wasser der Rottach in den Geyrenbach abgeleitet, der letztgenannte Bach stellenweise auch etwas gerader geführt. Damit war der unterste Teil des uns beschäftigenden großen Wasserlaufes zur Ausführung gebracht. Es war aber nicht so viel Wasser mehr gewonnen worden, als man benötigte und es entstand bald der Wunsch nach einer weiteren Verbesserung der Wasserkanalanlage. Das Stift nahm eine solche in Erwägung und schritt alsbald auch zur Ausführung. Diese zweite Erweiterung konnte das Stift ihrer Art nach ausführen, ohne mit der Reichsstadt sich ins Benehmen setzen zu müssen. Es wurde zunächst der Eschenweiher angelegt und dann die ganze oberste Kanalstrecke bis zur kleinen Rottach ausgeführt, was wahrscheinlich schon 1693, jedenfalls vor 1701 vollendet war. Nur der Herrenwieser-Weiher wurde noch nicht ausgeführt.

Bei Ausführung dieser Bauarbeiten ging man sehr rücksichtslos gegen die betreffenden Grundbesitzer vor. Bei Anlegung der Weiher zu Wageg, Waltenhofen und Eschach, sowie der Schweizerei in der Kürnach nahm man den Bauern ohne Umstände so viele Grundstücke weg, als man brauchte und gab ihnen keine oder nur eine ungenügende Entschädigung. Die Eschacher, welche an diesem summarischen Verfahren Anstoß nahmen, wurden von dem Kapitular von Liebenfels eines anderen belehrt. Man könne mit den leibeigenen Leuten nach Belieben umgehen, sagte er, und ihnen die Kutteln aus dem Leibe heraushaspeln. So hatte auch Kapitular von Spät zu Michael Klein, „Pflummermüller“, gesagt, man dürfe den Bauern die Fußsohlen vom Fuß schneiden.

Nach stiftischem Recht wurden die Bodenzinsfelder, wofür bis zum Beweis des Gegenteils alle in und um das Stift liegenden Felder anzusehen waren, gegen einen gewissen jährlichen Zins benützt, konnten aber von der Herrschaft stündlich an sich gelöst werden, waren mithin wie die eigentlichen Pachtgüter als unbeschränktes herrschaftliches Eigentum anzusetzen. Preiseigene Güter konnten wider den Willen der Besitzer in Gotteshaus- oder Lehensgüter umgewandelt werden. Güter, welche seit unvordenklichen Zeiten für freies Eigentum galten, wurden auf einmal als Lehen erklärt, weil sie in alten Urkunden als lehenbar benannt seien.

Hofrat Renz, der das genau wissen musste, charakterisiert noch 1793 das Verhältnis der fürstlichen Bauern mit den Worten: Das worin die kemptischen Untertanen vor anderen in Deutschland sich auszeichnen, sei der Mittelstand derselben zwischen freier Geburt und Leibeigenschaft, welcher zwar den Namen nach der Leibeigenschaft, nach den Wirkungen aber dem Stande der Freiheit sich nähere.

Die stiftischen Untertanen und die Landschaft beschwerten sich nach 1720 wegen der ihnen zugefügten Behandlung gegen den Abt und dabei wurden auch die Baulasten mit einbezogen. Der Landesrezel von 1732 versprach Abhilfe und hinsichtlich der Belastung mit öffentlichen Lasten trat auch Besserung ein. Ob man aber auch dem Versprechen einer Entschädigung für weggenommene Grundstücke einlöste, ist mehr als zweifelhaft. Die Vorschriften über die persönliche Stellung der Untertanen blieben bis zum Ende der fürstäbtlichen Regierung unverändert. An den Vertrag vom 12. März 1677 hielt sich das Stift recht wenig. Zunächst kehrte man sich an die Beschränkung, dass außer der Schaumühle andere Werke am Stadtbach nicht errichtet werden sollen, in keiner Weise. Es wurden nicht bloß weitere Hofbetriebe in größerer Zahl errichtet, es wurden auch Privatbetriebe zugelassen. Die Bachteilung bei Herburger wurde nicht so angelegt, wie es vereinbart war. Schon 1699 wurde daran herumgegraben, um in den stiftischen Bacharm mehr Wasser laufen zu lassen. 1713 riss man die Teilungsvorrichtung sogar ganz heraus; auch verlegte man an der Wasserverteilung bei der Residenz den altstädtischen Bacharm oft derart, dass wenig oder gar kein Wasser in die Stadt lief. Die vereinbarten Fallen wurden nicht hergestellt, auch die so genannte Wiedervergeltungsdohle nicht; die unausgesetzten Klagen der Stadt fanden keine Berücksichtigung. Schon 1701 beanspruchte das Stift mehr Wasser als die Hälfte, weil inzwischen neues Wasser von Eschenweiher her zugeführt worden sei. 1677 sei dies noch nicht geplant gewesen und bei der Wasserverteilung nicht berücksichtigt worden- 1706 stimmt der Stadtrat einer Vergrößerung der in die Residenz gehende Dohle von drei auf sechs Zoll zu, aber nur unter der Bedingung, dass die Wiedervergeltungsdohle die gleiche Vergrößerung erhalte. Die Verhandlungen blieben erst resultatlos und ruhten dann wieder, weil die Stadt nicht davon abhing, dass die sie die Hälfte des ganzen Wassers erhalte. 1729 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen, aber erst 1734 kam man sich gegenseitig näher. Unterm 23. Dezember 1735 kam dann eine neue Vereinbarung zustande, wonach die Stadt 4/9, das Stift 5/9 des Wassers erhalten sollte. Das in die Residenz fließende Wasser wurde verdoppelt, aber auch das in der Wiedervergeltungsdohle abfließende. Dieses Abkommen gilt nur so lange, als das Wasser vom Eschacherweiher her in den Stadtbach abgeleitet wird. Im übrigen soll es bei dem Vertrag von 1677 verbleiben.

Der Herrenwieserweiher ist in keiner bisherigen Verhandlung genannt und man muss annehmen, dass er 1735 jedenfalls noch nicht bestand; er wird erstmals 1769 erwähnt, kann aber auch früher entstanden sein.

Nach 1735 sind erhebliche Differenzen zwischen Stift und Stadt nicht mehr zu verzeichnen, obwohl eine stete korrekte Haltung der fürstäbtlichen Regierung und ihrer Organe auch nicht eintrat. Auch Änderungen an der Wasserkanalanlage fanden nicht mehr statt, wohl aber trat gegen Ende des 1. Jahrhunderts eine bedeutende Verschlechterung des Bauzustandes ein, herbeigeführt durch nachlässige Unterhaltung.

Am 2. September 1802 wurde das Stift von bayerischen Truppen besetzt und am 20. November 1802 erfolgte dessen Zivilbesitzergreifung durch einen bayerischen Kommissär. Die gefürstete Abtei Kempten hörte auf und ihr Besitz ging an das Kurfürstentum Bayern über. Um die Angelegenheiten, die mit dem Wasserkanal Eschacherweiher und Stadt zusammenhingen, kümmerte sich vorerst niemand und es entstand alsbald ein Zustand, der unbedenklich als Anarchie bezeichnet werden kann. Der bayerische Staat hätte nach 1802 unbedingt sofort sorgen müssen, dass die Rechtsverhältnisse des Kanales und der ihn benützenden Werke festgestellt und den staatlichen Organen eine entsprechende Direktive gegeben wurde. Die patriarchalischen Zustände der fürstäbtlichen Verwaltung entfielen für die neu zu Bayern gekommenen Landstriche ja. Die Privatbetriebe am Kanal hatten keinerlei Privatrechte auf die Benützung des Mühlbaches. Man hätte ihnen eröffnen sollen, dass die Benützung gestattet bleibe; man hätte aber sofort Bedingungen daran knüpfen müssen, Unterhalt, Wasserzins, Ziehen der Fallen, Unterwerfung unter die mit der Verwaltung betrauten staatlichen Organe und ergehende Vorschriften. Es geschah nach der Richtung hin nichts. Auch für die nun folgenden Verkäufe musste das sofort geschehen. Mit diesen Verkäufen begann man 1804 und 1805; der letzte Verkauf datiert von 1814. Die Verkäufe waren nicht vorbereitet; die Bedingungen hätte man sofort fertig gestellt haben müssen. Tatsächlich ließ man sich raschestens den meist lächerlich geringen Kaufpreis auszahlen; die Verträge selbst wurden meist zehn Jahre später ausgefertigt und auch da blieben die wichtigsten Regelungen noch einer späteren Zeit überlassen. So wurden die Wasserzinsen späterer Einigung vorbehalten. Man wartete zunächst zehn Jahre, um einen Durchschnitt der jährlichen Unterhaltungsausgaben zu gewinnen. Der Staat ist aber zunächst gar nicht für diese Unterhaltung und ein Jahresdurchschnitt war ohne Wert. Dann wartete man die Offerten der Werkbesitzer ab und man schrieb 1831, als die Wasserzinse nach den lächerlich geringen Angeboten der Werkbesitzer genehmigt wurden. Von Nachzahlung keine Rede. Auch hier zeigt es sich, dass nach der Säkularisation das gewonnene Staatsgut vielfach verschleudert wurde; schlechte Organisation der Verwertung oben, schlechter Vollzug unten. Man wollte rasch Geld und gab staatliche Interessen preis.

Einiges darüber, wie die staatliche Unterhaltung des Kanals aussah. Schon 1804 war das Helenwehr schadhaft. Auch der Tunnel östlich vom Wehr war schlecht und stürzte bald ein. Um 1809 lief aus der Rottach gar kein Wasser mehr zur Stadt. Müller Bertele bat im August 1811 um Abhilfe, weil er zur mehr notdürftig auf 1 Gang mahlen könne und auch das bald aufhören werde. Die Kreisbaubehörde lehnte aber 1812 jede Tätigkeit insolange ab, bis die Wasserzinsen reguliert sein werden. Erst in den Jahren 1814 und 1816 wurden dann Wehr und Tunnel erneuert. Im übrigen blieb der Kanal so schlecht wie zuvor und namentlich in den dreißiger Jahren war der bauliche Zustand ein totalem Verfall gleichkommender.

Das Verhalten der Werksbesitzer war anfänglich ein ziemlich entsprechendes; sie traten nur als Bittsteller auf. Gar bald wurden sie Fordernde. Sie wollten in früheren Zeiten alle möglichen Rechte erworben haben und legten jedes Entgegenkommen des bayerischen Staates als Erfüllung staatlicher Pflichten aus. Ihre Anmaßung wurde groß gezogen durch Bequemlichkeit, Verständnislosigkeit und Unfähigkeit der staatlichen Organe. Der Staat gewährte allerdings nicht alle Forderungen der Werkbesitzer, wies sie oft aber nicht ausdrücklich ab und übersah es, dem vorzubeugen, dass die Werkbesitzer aus dem Unterlassen energischer Abwehr nur den Mut zu neuen, stets wachsenden Ansprüchen schöpften.

Man darf dabei allerdings der schweren Kriegszeiten nicht vergessen, welche auch für die hier besprochenen Verhältnisse eine große Erschwerung bedeuteten. Auch das Bestreben, den gesamten Kanal auf andere Schultern abzuwälzen, was schon seit 1810 versucht wird, war ein äußerer Anlass zur Zurückhaltung in der staatlichen Tätigkeit. Den Werkbesitzern hätte der bayerische Staat die ganze Kanalanlage abgetreten, wenn sie deren Unterhalt übernommen hätten; das wollten sie aber nicht und sie zogen Wasserzinse vor. Das Arar fasste dann die Abtretung des Kanales an die Stadt Kempten ins Auge, welche nach mehr als 30jährigen Verhandlungen durch Vertrag vom 13. Juni 1844 zur Tatsache wurde.

Trotz der langen Jahre, die für die Vorbereitung dieses Vertrages benötigt wurden, ist der Vertrag für die Stadt ungünstig und auch in seiner Fassung missglückt und die Stadt kann von einer Mitschuld nicht freigesprochen werden, da der städtische Sachreferent selbst den Vertragsentwurf abgefasst hat. Im Vertragstext ist nicht einmal genau zum Ausdrucke gebracht, was eigentlich an die Stadt abgetreten wird, ob das Eigentum an den Flächen, über die das Wasser des Kanals fließt, ob das Eigentum an fließendem Wasser, ob ein Wasserbezugs- und Wasserleitungsgerechtigkeit. Auch die der Stadt überbürdeten Pflichten dem Staate gegenüber sind so unklar gefasst, dass sie später eine Erweiterung erfahren konnten, die ganz und gar gegen die Intentionen beim Vertragsabschluß geht. Über das Verhältnis zu den Werkbesitzern wären einige Bestimmungen sehr angezeigt gewesen; sie unterblieben und die Werkbesitzer betrachteten den Vertrag auch als eine zu ihren Gunsten abgeschlossene Vereinbarung, die ihnen Rechte gibt. Die Stadt, welche nicht verpflichtet war, dem Staate die Sorge für den Kanal abzunehmen, erhielt eine Entschädigung, die aber auf Grundlage der in den letzten Dezenien erfolgten tatsächlichen Ausgaben bemessen wurde, obwohl die Stadt den Zustand, in dem der Kanal sich befand, nicht belassen konnte und auch für die Unterhaltung mehr aufwenden musste. Die Stadt müsste überhaupt alle Folgen der staatlichen Verwaltung übernehmen, an deren Schluss der Kanal nicht mehr so frei von Rechten der Werkbesitzer war, wie zu Anfang. Finanziell machte die Stadt kein gutes Geschäft.

Schon im vorigen Jahrhundert noch betrug das Defizit einige Tausend Mark jährlich. In letzter Zeit stieg es gewaltig und bleibt weitere Steigerung nicht aus. Trotzdem war es seinerzeit nicht gut möglich, die Übernahme des Kanales durch die Stadt abzulehnen, die ja auch ohne den Vertrag von 1844 einen rechtlichen Anteil am Kanal besaß. Die Anfänge der Anlage wären ja eine reichsstädtische Unternehmung; die Abtei Kempten schloss dann später an die reichsstädtische Einrichtung an. Die entstandene rechtliche Gemeinschaft wurde niemals gelöst. Den ersten Anstoß zum Eintreten der Abtei gaben die fürstliche Residenz und die fürstlichen Hofbetriebe. Außerdem war aber auch der Zweck die Unabhängigmachung von der Reichsstadt und die Hebung von Handel und Wandel der Stiftstadt Kempten und ihrer Umgebung und wurde dieser Zweck sicherlich erreicht, wie die große Zahl der am Stadtkanal entstandenen Betriebe beweist. Im übrigen ist der Kanal sowohl in der Altstadt, wie in der Neustadt dienstbar gemacht zu Wasserleitungszwecken, der Abschwemmung von Fäkalien und Hausabwässern, Feuerlöschzwecken, der Wiesenbewässerung, der Fischzucht, verschiedenen gewerblichen und häuslichen Zwecken. Der Kanal war immer eine öffentliche Einrichtung, die dem allgemeinen Gebrauch, dem Gemeinwohle diente. Seiner Aufgebung stünde jetzt wohl auch der Vertrag von 1844 im Wege. Seine, wenn auch bescheidene Wasserkraft ist auch heutzutage im Zeitalter des Dampfes und der Elektrizität nicht wertlos.

Die Stadtverwaltung hat den Werkbesitzern gegenüber anfänglich auch etwas zu sehr nachgegeben, hat sich aber in nicht langer Zeit doch auf den Standpunkt gestellt, dass die Bestrebungen der Werkbesitzer entschieden bekämpft werden müssen. Die Werkbesitzer haben das Eigentum am Kanal wiederholt für sich beansprucht und die Herrschaft über den Kanal sich aneignen wollen, während dem Staat nur die Rolle des Unterhaltspflichtigen zugewiesen werden sollte. Die Werkbesitzer erhoben ferner den Anspruch, dass im ganzen Gebiet des Kanals keine Quelle ohne ihre Zustimmung abgeleitet werden dürfe und dass ohne ihre Genehmigung kein neues Werk am Kanal zugelassen werden könne. Es muss herbeigeführt werden, dass solche Ansprüche endgültig verschwinden und dass in den öffentlichen Büchern die Rechte der Stadt erschöpfend zum Vertrag gelangen. Darüber wird noch Zeit und Mühe aufgewendet werden müssen, wie auch die nötige Regelung der Wasserzinse und der Erhaltung des Bauzustandes noch ihre Schwierigkeiten bringen wird. Den bezüglichen Bemühungen der Stadtvertretung sei der beste Erfolg gewünscht.

Erstattet am 5. September 1921 im Historischen Verein

(gez.) Horchler