Lebensader und Zankapfel

Der Schlangenbach: Mehr als nur eine Wasserversorgung Von Markus Raffler

Kempten Lebensader, Zankapfel und technisches Meisterwerk zugleich: über Jahrhunderte hinweg fiel dem Schlangenbach für Reichsstadt und Stift Kempten eine Schlüsselrolle zu. Die fast 15 Kilometer lange Fernwasserversorgung, die bis ins Mittelalter zurückreicht, trieb Mühlen und Sägen an, speiste Brauhäuser und Druckereien ; und glich sogar Trinkwasserdefizite aus. Der erste Anstoß für einen künstlichen Kanal kam von der Reichsstadt: Um das Handwerk zu fördern, ließ sie den Stadtweiher aufstauen und dessen Wasser über verschlungene Wege (daher der Bachname) auf ihr Territorium leiten. Aus heutiger Sicht eine techniche Meisterleistung, betonen Schlangenbach; Forscher wie Werner Rodder oder ExTiefbauamtsleiter Bruno Steinmetz. Denn Voraussetzung für die künstliche Bewässerung war ein 300 Meter langer Stollen, den ausländische Mineure 1493 durch den Eggener Berg trieben. Doch auch der später vom Fürststift forcierte Ausbau der Wasserversorgung (beide Parteien teilten sich das kostbare Nass mehr oder weniger "brüderlich") war ein ehrgeiziges Unterfangen: Das gilt für die Ableitung der Rottach, aber auch für die Anlage von Eschacher (1693) und HerrenwieserWeiher. Über Stollen, Wehre und natürliche Bachbetten floß der Bach zur Wasserscheide am Mühlweg, Dort trennten sich stiftische und städtische Ader: Die Untertanen des Abts wurden in der Folge über zwei Kanalstränge bedient, die Reichsstadt über drei. Über komplizierte Wege gelangten die unterirdischen Bachläufe (1,5 Meter hoch und bruchsteingemauert) schließlich in die Iller. 20 bis 30 Betrieben diente der Schlangenbach bis ins vorige Jahrhundert hinein als Energiequelle; von der Pulverfabrik bis zur Lohwalke, von der Hofapotheke bis zur Hammerschmiede. Das frühere Distriktsspital nutzte das Wasser gar zum Reinigen von Bettwäsche; wie der Bach überhaupt häufig zum Ausspülen von Aborten und Kanalisation diente. Krasser Gegensatz: Reichte das vorhandene Trinkwasser nicht aus, wurde in Stift und Stadt kurzerhand mit Bachwasser nachgebessert. Doch es ginge nicht um Kempten, hätte sich der Schlangenbach nicht bald zum Zankapfel zwischen Stadt und Stift entwickelt: Weil die Äbte regelmäßig mehr Wasser abzapfen ließen, als ihnen zustand, schaltete die Stadt höchste Gerichte ein. Doch auch gegenüber seinen Untertanen verhielt sich das Stift nicht zimperlich: Weil sich der Buchenberger "Pflaumenmüller weigerte, einen unrechtmäßig erhobenen Wasserzins zu bezahlen, drohte man ihm kurzerhand an, die Fußsohlen vom Fuß zu schneiden." Er lenkte ein ... 

Aus dem heutigen Bild der Innenstadt ist der Schlangenbach längst verschwunden. Lediglich im Bereich von Kanalweg und Residenz schlummern die Kanäle unversehrt unter dem Asphalt. Das könnte sich jedoch eines Tages ändern: Bürger und Institutionen ; darunter ein Arbeitskreis der Wirtschafts-Junioren; machen sich im Zuge der Umgestaltung der drei Plätze um die Residenz für eine teilweise Öffnung der Kanäle stark.

Schlangenbach in Kempten
Zwei Hauptarme des Schlangenbachs (blau) versorgten bis ins 19. Jahrhundert etliche Firmen in der Kemptener Altstadt mit Wasserenergie. Zuvor floss der Mühlkanal dessen Ursprünge bis ins Mittelalter zurückreichen, durch stiftisches Gebiet (rechts). Zur besseren Orientierung sind in den Grundriss von 1737 markante Bauwerke eingeblockt: Burghalde (1), Rathaus (2), Residenz (3) Illertor (4) St.-Mang;Kirche (5). Repro: AZ/Fotos. Lienert