Pakistan

Mein Reiseziel 1995 war Pakistan, speziell der nördliche Teil - das Hunzaland. Hier einige Reiseeindrücke.

Karakorum Highway (KKH)

Highway

Zwei Tage fuhren wir über den Karakorum-Highway von Islamabad nach Karinamabad. Ab Thakot folgt der Highway dem träge und schmutzig dahinfließendem Indus, der sich tief in die Wüstenlandschaft eingefressen hat. Der Boden ist von der glühenden Sommersonne und den trockenen, kalten Wintern ausgedörrt und von den unablässig blasenden Stürmen abgetragen. Wo ein kleiner grüner Fleck ist, meist bei der Einmündung von Flssen in den Indus, haben Leute gesiedelt. Magere Ziegen und Schafe weiden links und rechts der Straße. Wir können nur Steine und Geröll sehen, doch muss ja irgendwo etwas Fressbares sein. Wir haben ber 40 Grad im Schatten, von dem es keinen gibt und ich stelle mir vor, wie hier einst die Heere von Alexander dem Großen, oder später die britischen Kolonialtruppen mit voller Kampfausrüstung marschiert sind. Damals gab es ja noch nicht diesen Highway, der erst 1988 von pakistanischen und chinesischen Soldaten als Aufmarschstraße gegen eine Bedrohung der ehemaligen UdSSR vollendet wurde. Für die Schwerarbeit wurden auch Sträflinge eingesetzt und es verloren ca. 500 Pakistani bei Sprengarbeiten, Steinschlägen oder durch die harten klimatischen Bedingungen ihr Leben.

Transport

Heute kurven buntbemalte Trucks mit lauter Radiomusik und Lichtorgeln oder Kleintransporter,vollgestopft mit Menschen, um Schlaglöcher oder herabgestürzte Felsbrocken.

Truck

Angeblich stehen sie alle unter Drogen, denn dann wird die Straße breiter. Als ich einen Truck fotografiere, hält der Fahrer an, damit ich auch in Ruhe alles festhalten kann. Ein zweiter Truck überholt, sieht mich mit Kamera und bleibt neben seinem Kollegen für ein Foto stehen. Der Highway ist blockiert, bis die Fotosession zu Ende ist. Mit viel freundlichem Hupen und Winken löst sich der Stau auf. Hier hat man Zeit, muss sie haben.

Pakistani

Bei einem Ausflug in den Norden ist der KKH von einer Lawine blockiert. Es dauert über einen Tag bis eine Weg freigeschaufelt ist. Eine Brücke über den Indus, die ein Dorf mit dem KKH verbindet, ist gesprengt. Eine Folge der Stammesfehden. Hier im Norden haben alle freistehenden Gehöfte einen Wachtturm, um sich gegen Überfälle zu sichern. Die Männer tragen Feuerwaffen und sehen furchterregend aus. Unser pakistanischer Führer warnt uns, verschleierte Frauen zu fotografieren. Das könnte mit einer Kugel durch den Ehemann geahndet werden.

Unser erstes Tagesziel ist Chilas. Hier ließ sich bereits in früheren Zeiten der Indus überqueren und so laufen hier seit Jahrtausenden Handelswege, Pilgerstraßen und Geschichte zusammen. Die Reisenden machten in dieser wüsten, von Felsbrocken übersäten Landschaft Halt und erholten sich in der "Mondstadt", wie sie Chilas früher nannten. In der Abenddämmerung besichtigen wir die Felsmalereien, wo die Reisenden Namen, Bilder oder Gebete für eine glückliche Reise, Verdienste in einem späteren Leben oder Glück für die nächste Jagd in den Stein geritzt haben. Die ältesten Inschriften stammen aus dem 1. Jhdt. nach Christi. Die beeindruckendsten Bilder sind 2.000 Jahre alte Buddha Figuren, ein großer Stupa; Fabeltiere und Kampfszenen. In der Abenddämmerung fühlt man sich in eine alte, mystische Welt versetzt an dieser Schafhirtenkreuzung in der Mitte von Nirgendwo.

Am nächsten Tag halten wir an der Rakhiot-Bridge und steigen um in Jeeps. Halsbrecherisch geht es einen Gebirgsweg nach oben. Links senkrecht mehrere hundert Meter tief der Abgrund und rechts steile Felswände. Auf dem Ersatzrad sitzt ein Pakistani, der wie ein Beiwagenfahrer bei Motorradrennen sein Gewicht in den Kurven verlagert, um den Jeep am Umkippen zu hindern. Wasser läuft über den Weg und der Fahrer hält an, um Kühlwasser zu ergänzen und die Bremsen zu kühlen. Monika springt aus dem Jeep und weigert sich weiterzufahren. Mit Gewalt holen wir sie zurück und setzen sie in die Mitte, damit sie nicht in den Abgrund schauen muss. Löst man sich von seiner Angst, hat man einen atemberaubenden Blick auf die Bergkette des Pamirgebirges. Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt sind wir in Tato, Ausgangspunkt für den Aufstieg zur Märchenwiese.

Nach dem Besuch der Märchenwiese fahren wir nach Gilgit, dem bedeutendsten Handelsplatz, auch schon in der Zeit der Seidenstraße, von der man ab und zu noch obereste sehen kann. Wir kommen spät am Abend an und fahren direkt unser Hotel an. Am nächsten Morgen besichtigen wir die 3 Meter hohe Buddha-Statue, bummeln durch den Cinema-Basar, der sich kilometerlang an der Hauptstraße hinzieht, überschreiten der Gilgit-Fluß auf einer 180 Meter langen Brücke und betrachten die Schneekappen des knapp 8.000 Meter hohen Rakaposhi und des Mount Duboni, die sich an beiden Enden des weiten Tales erheben. Am Nachmittag fahren wir weiter nordwärts auf die immer nherrückenden Berge zu. Der Rakaposhi zeigt uns den Weg und nach gut zwei Stunden haben wir Karinamabad, unser Ziel erreicht.

Nanga Parbat

Ein Traum wird wahr. Aufstieg zur Märchenwiese durch einen Mischwald, der hier in 3.000 Meter Höhe wächst. Nach der Wüstenlandschaft des Indus-Tals eine willkommene Abwechslung. Der Weg steigt leicht an und bald sehen wir die 5.000 Meter hohe weiße Steilwand des Nanga Parbat vor uns in den wolkenlosen blauen Himmel wachsen. Blickt man zurück, stehen die Berge des Pamir am Horizont.

Nanga Parbat
Der Nanga Parbat von der Märchenwiese aus. Links der Rakiot Peak, rechts der Hauptgipfel und dazwischen der Silbersattel. Dies war die Route des Erstbesteigers Hermann Buhl.

Dann verlassen wir den breiten Waldweg und auf schmalem Pfad geht es steil nach oben. Die Hitze macht mir zu schaffen und da ich schon seit mehreren Tagen an Durchfall leide, bin ich wie ausgetrocknet. Es will sich kein Speichel im Mund bilden. Die erste Trinkflasche ist schon fast leer. Dann noch ein kurzer Steilhang. Wüsste ich nicht, dass da oben die Märchenwiese wartet, würde ich einfach hier sitzen bleiben. Langsam geht es nach oben und dann liegt der Nanga Parbat (8.125 Meter) mit seiner mächtigen Flanke vor uns. Zur Begrüßung donnert eine Lawine durch die Wand. Auf der Märchenwiese stehen Zelte und eine Hütte, was mich enttäuscht, hatte ich mit totaler Bergeinsamkeit gerechnet. Doch dann wird Tee serviert, Lunch ausgepackt und wir sitzen und schauen und lassen uns von unseren Bergführern die Routen zeigen und die dramatischen Besteigungsversuche des Killer-Berges schildern. Der Boden ist silbrig von den Blättern der Edelweiße, die in einer Woche blühen werden. Nachdem wir uns satt gesehen haben, schlendern wir den Bach entlang über die Märchenwiese und wählen einen steilen Waldsteig für den Abstieg nach Tato, wo die Jeeps schon warten.

Hunzaland

Karimabad

Hunzaland, der nördlichste Bezirk Pakistans, war bis vor kurzem noch Königreich. Umgeben von den rauen Bergen des Karakorums und geprägt durch den Hunzafluss hat dieses Land James Hilton zu seinem Roman "Lost Horizons" (Irgendwo in Tibet) angeregt, in dem die Bewohner des Klosters Sangri-La nicht altern. In der Tat erreichten die Einwohner des Hunzalands ein hohes Alter. Man führt das auf ihre Ernährung - in der Hauptsache Aprikosen und das mineralhaltige Gletscherwasser - zurück. Hinzu kamen strenge Ein- und Ausreisekontrollen. So musste jeder Bürger, der das Königreich verlassen wollte, die Genehmigung des Königs haben. Einreisende mussten sich an der Grenze einer strengen Kontrolle unterziehen und sich und ihre Kleider im Hunzafluss waschen. Mit dem Bau des KKH wurde das Gebiet erschlossen und fremde Kultur und Nahrung kamen in das Land und Krankheiten breiteten sich aus.

Die Bewohner des Hunzalandes gehörten relativ lange dem Buddhismus an und leben lockerer als die Pakistani, die wir bis dahin kennengelernt haben. Die Frauen gehen bunt gekleidet und verstecken sich nicht vor Fremden. Als Zugeständnis an ihre neue Religion - den Islam - nehmen sie mit einem verlegenen Lächeln einen Zipfel ihres Kopftuches in den Mund und deuten so eine Verschleierung an. Bei einer Einladung in ein Privathaus bekamen wir auch Wein zu trinken und uns wurde erklärt, dass in den Gärten Wein als "Zierpflanze" gezogen wird und wenn er schon da ist, wird halt auch Wein daraus gemacht.

Das Hunzatal wird geprägt durch seine Pappeln, in denen Pirole in ihrem gelb-schwarzen Federkleid die Aufmerksamkeit auf sich lenken, und die an den Hängen angelegten Terrassenfelder, die nach oben durch eine gerade Linie gegen den Berg abgegrenzt sind. Die Felder werden durch ein geschickt angelegtes System von Kanälen versorgt und man treibt sie immer weiter hangaufwärts voran, um neues Ackerland zu gewinnen.  Ihr Wasser wird zum großen Teil von dem Ultargletscher bezogen. Die Betreuung der Kanäle und die Verteilung des Wassers durch Schleusenstellung auf die einzelnen Felder ist Aufgabe des Wassermeisters, der eine wichtige Funktion in der Dorfgemeinschaft innehat.

Die massige, dennoch graziöse Sihouette des Rakaposhi überragt die Landschaft. Der Sage nach, ist er mit einem goldenen Faden mit dem Nanga Parbat verbunden. Wenn ich aus dem Fenster meines Hotelzimmers sehe, blicke ich auf den Ladyfinger und rechts davon die Festung Baltit, die an überragender Stelle gebaut wurde und bis 1960 Wohnsitz der Fürsten von Hunza war. Dahinter ragt der noch unbezwungene Ultar in den Himmel. Ein gewaltiges Panorama.

Ultargletscher

Wir brechen von unserem Hotel in Karimabad auf und marschieren auf die das Tal beherrschende Burg Baltit zu. Dann folgen wir den Bewässerungskanälen, vorbei an vielen Heckenrosen, der Nationalblume Pakistans, und kommen bald in ein tief eingeschnittenes Tal, in dem ein Bach sich an haushohen Felssteinen vorbei seinen Weg sucht. Auf der linken Talseite ist eine Blechrinne in ca. 2 Meter Höhe an dem Fels angebracht, in der das Wasser in das Bewässerungssystem eingeleitet wird. Pfadlos geht es nach oben, bis eine Gerölllawine den Weg blockiert. Ein riesiger Steinhaufen türmt sich vor uns auf. Die Wasserrinne wurde weggerissen und das Wasser stürzt von oben auf die Steine herab. Unser Führer erkundet einen Weg und die einzige Möglichkeit besteht darin durch das herabstürzende Wasser in einer schmalen Rinne aufzusteigen. Dabei werden Steine losgetreten, die in die Tiefe rollen und weitere Steine mitreißen. So kann jeweils nur einer der Gruppe die Strecke überwinden, während der Rest in Deckung gehen muss.

Ultargletscher

Plötzlich taucht aus dem Nichts ein Pakistani mit einer langen Leiter auf, mit deren Hilfe der Rest der Gruppe das Hindernis überwindet. Kurz danach stoßen wir auf eine grüne Wiese mit einer Schafherde. Der freundliche Helfer entpuppt sich als Schäfer, der in einer Höhle seine Behausung eingerichtet hat. Als Dank für seine Hilfe geben wir ihm von unserer Verpflegung, worüber er sichtlich erfreut ist. Wir steigen weiter auf und lagern am Rand des Gletschers auf einer großen Wiese, genießen unser Lunch und den Ausblick auf den Ultar, einer der wenigen unbezwungenen Berge, und den schlank emporragenden Ladyfinger, auf dem der Sage nach die Prinzessin Bubuli auf die Rückkehr ihres Gemahls wartet, der in den Krieg gezogen ist. In Sturmnächten - so erzählen die Einheimischen - hört man Stimmen vom Ultar, die die Besteiger zur Umkehr mahnen und von dem Ladyfinger das Weinen und Klagen der Prinzessin.

Auf dem Rückweg besuchen wir die noch ältere Burg Altit, wo bis vor kurzem Sitzungen des Königs mit den Stammesältesten stattfanden. Von dem Turm der Burg schaut man auf der einen Seite auf die Flachdächer der Häuser, die in der Mitte eine Öffnung als Rauchabzug haben und auf denen Aprikosen zum Trocknen liegen und auf das geschäftige Treiben der Bewohner. Auf der anderen Seite geht es senkrecht mehrere 100 Meter tief in das Hunzatal und dahinter stehen ein halbes Dutzend Siebentausender.

Islamabad

Al Faith Moschee

Islamabad, die junge Hauptstadt Pakistans ist ein Kontrast zu den Städten, die wir auf unserer Reise erlebt haben. Seit 1961 erbaut hat es breite Boulevards und viele Grünanlagen. Die Straßen verlaufen rechtwinklig und sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Wir besuchen die Faisal-Moschee, eine der modernsten Moscheen der Welt, von dem türkischen Architekten Dalokay erbaut. Es ist meine erste Moschee, die ich betrete und ich bin von der Größe und Atmosphäre stark beeindruckt. Die Wände sind mit türkisfarbenen Fließen verkleidet, in die Suren des Koran eingebrannt sind. Durch den weiten Raum fliegen Tauben und Männer knien auf den Teppichen und beten.

Nach der Stille fahren wir zu einem Aussichtspunkt und genießen den Ausblick auf die Stadt und die sie umgebenden grünen Berge. Der Besuch eines Teppich- und Kunstgeschäfts versetzt uns wieder zurück in die Wirklichkeit. Es werden Getränke gereicht und Teppiche vor uns ausgebreitet. Ein schöner Seidenläufer wird von Monika gekauft und ein großer Teppich geht zu einem Ehepaar nach München. Jeder hat ein paar Souvenirs gefunden und so sind beide Seiten zufrieden. Am letzten Tag unseres Aufenthalts verjubeln wir unser letztes Geld in Threadlines Gallery, eine von der Regierung subventionierte Ladenreihe, in denen kunsthandwerkliche Waren angeboten werden. Ich hätte so gerne ein paar handgeschnitzte Fensterläden mitgenommen, doch war dies ein Transportproblem (da wusste ich noch nicht, was die Pakistani alles als "Handgepäck" mit in das Flugzeug nehmen). Auf der Weiterfahrt nach Rawalpindi fahren wir an den supermodernen Regierungsgebäuden, Universität mit Bibliothek und den Botschaften vorbei. Ein krasser Gegensatz zu der Armut, die wir in den Bergen gesehen haben.

Nach Islamabad erobern wir die Schwesternstadt Rawalpindi. Anders als in dem modernen Islamabad ist hier Leben. Man kommt nur mühsam in den Straßen voran. Natürlich zieht es uns in die Basare, die sich hier aneinander reihen. Jeder Basar bietet andere Ware an: Bara-Basar Fernseher, Videos und Transistorradios; Trunk-Basar Reisegepäck und Rucksäcke; Moti-Basar Schals, Wollkleidung, Parfum, Kosmetik, Ketten, Perlen und anderen Tand; Bohr-Basar Kräuter, Entspannungsmittel und Aphrodisiaka; Raja-Basar gebrauchte Bekleidung; Sarafa-Basar Gold, Silber und Juwelen; dazwischen Gemüse-, Obst- und Gewürzmärkte. Ein hektisches Treiben, in dem irgendwo in einer stillen Ecke Männer beim Kartenspiel sitzen.

Frauen

Hin und wieder sieht man sogar unverschleierte Frauen beim Einkaufen. Ein Mann spricht mich an: "English" als ich antworte "Deutsch" umarmt er mich und sagt "Deutschland gut, Helmut Kohl, Beckenbauer!" und er zieht mich in sein Geschäft und ich muss mit ihm Tee trinken. Endlich kommt Ali, unser Führer und befreit mich. Dann geht es weiter durch die engen Gassen, die teilweise in große Plätze münden, wo Pferdetaxen bereitstehen. Optisch schön hergerichtetes Essen wird überall angeboten und für den Durst gibt es Stände, die frische Früchte auspressen und den Saft anbieten. Bei über 40 Grad im Schatten sind wir bald schweißnass und ziehen uns in das klimatisierte Hotel zurück.

© Siegfried Neukamm